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2. Giuseppe Maria Cambini (?), “Ausführung der Instrumentalquartetten,” Allgemeine musikalische Zeitung (Leipzig), 47 (August 22, 1804), cols. 781–83.

Wo die Musik nicht Affekten aufregen oder besänftigen soll, da soll sie wenigstens unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und dadurch uns von den Sorgen und Kümmernissen dieses gemeinen Lebens zerstreuen. Die Instrumentalmusik, ohne Unterstützung der Poesie, hat, meines Erachtens, vornehmlich den letztern Zweck. Soll sie diesen aber erreichen, so muss sie gut gesetzt seyn und gut ausgeführt werden. Haydns Sinfonieen, wie wir sie hier geben, zeigen an der That selbst, was ich mit jenen beyden Forderungen will: Niemand hört sie, ohne wenigstens so weit eingenommen zu werden, dass er seiner Sorgen vergisst. Das Quartett, Quintett u. dgl. kann und soll dasselbe leisten, und gewährt noch die Vortheile, dass wir es hören können, wenn wir auch in keinem grossen Saale sind und nicht über ein halb hundert Musiker bey der Hand haben. Aber die vollkommene Ausführung dieser Gattung von Musik ist eben so schwer, als selten. Gleichheit der Empfindung und Einheit des Ausdrucks, die den Ausführenden unentbehrlich sind, treffen sich nicht zufällig und beym ersten Zusammenkommen. Wer sehr gut lieset, ist oft im Ausdruck sehr schlecht; ist nur Einer der Ausführenden kalt oder sorglos, so werden alle die Reize zerstört, die vom Komponisten in wahre, gleichsam {782} dialogisirte Quartetten gelegt sind, und unsre Sinne ganz gefangen nehmen konnten und sollten.

Meine Meynung ist deswegen, es sollten sich an jedem Orte, wo es Männer giebt, die ihre Kunst aufrichtig lieben, und so viel Einsicht, Uebung und Gefühl haben, um den eigentlichen Unterschied zwischen Tonkünstler und Musikant (vielleicht sehr geschickter, schätzenswerther Musikant) fest fassen zu können – diese Männer, sag’ ich, sollten sich zusammenthun und Quartetten studiren und ausführen lernen. Ja ja, lernen sag’ ich: denn auch bey ihnen kömmt das nicht von selbst und sogleich; studiren sag’ ich: denn auch sie durchdringen den Sinn solcher guter Werke nicht sogleich in aller einzelnen Theilen. Sie müssten, noch einstimmiger als ihre Instrumente, die vorzüglichsten Werke dieser Gattung oft wiederholen, alle Nüanzen des beabsichtigten Vortrags dadurch kennen lernen – wie hier mehr Helldunkel, dort mehr Mitteltinten angewendet, hier der Accent nach und nach pathetisch, stark, gross, oder naiv, oder schneidend, oder weich werden soll, und wie nun, nach solcher Ausführung des Einzelnen, der Sinn des Ganzen (und folglich des Komponisten selbst) hervorgehet. Darüber müssten sie nun ihre Gedanken einander mittheilen, und ihre Eigenliebe dürfte sich nur darauf beschränken, wie sie zusammen [e]in schönes Gemälde liefern wollten. Die Früchte solcher Studien wären für sie selbst der vollkommenste Genuss and die Achtung aller Sachverständigen. In {783} meiner Jugend habe ich sechs glückliche Monate in solchem Studiren und solchem Genuss verlebt. Drey grosse Meister Manfredi, der vorzüglichste Violinist in ganz Italien, in Absicht auf Orchester- und Quartettspiel, Nardini, der als Virtuos durch die Vollendung seines Spiels so berühmt geworden, und Boccherini, dessen Verdienste bekannt genug sind, erzeigten mir die Ehre, mich als Bratschisten unter sich aufzunehmen. Wir studirten auf die angegebne Weise Quartetten von Haydn (die, welche jetzt in der Suite Op. 9., 17 und 21 [recte: 20] ausmachen,) und von Boccherini, die dieser damals eben schrieb und man noch immer so gern hört; und ich darf selbst sagen, dass wir mit dem, was wir so einstudiert hatten, wie Zauberer auf die wirkten, denen wir vorspielten. Der beste Akteur wird es nicht wagen, eine Scene aus einem bedeutenden Schauspiel zu geben, ohne sie öfters durchgegangen zu seyn: mir thut’s oft in der Seele wehe und unwillkührlich muss ich mit den Achseln zucken, wenn ich Musiker sagen höre: Kommen Sie, wir wollen Quartett spielen! eben so leicht hin, als man in der Gesellschaft spricht Kommen Sie, wir wollen eine Parthie Reversis spielen! Da muss ja wohl die Musik vag und ohne Bedeutung bleiben, und es ist kein Wunder und auch kein Grund zur Beschwerde da, wenn die Anwesenden nicht drauf hören mögen,’ oder gähnen, wie – die Leser dieses meines Aufsatzes.

Cambini in Paris.