Sonate. Die allgemeine Benennung solcher zwey-, drey- oder mehrstimmigen Instrumentalstücke, die aus etlichen ausgeführten Theilen von ausgeführten Theilen von verschiedenem Charakter bestehen, und in welchen die Empfindungen eines einzigen Menschen, oder verschiedener einzelnen Personen[1] ausgedrückt werden, daher man auch bey dem Vortrage derselben jede Stimme nur einfach zu besetzen pflegt.
Soll jeder Theil einer Sonate einen sich auszeichnenden Charakter, oder den Ausdruck einer bestimmten Empfindung enthalten, so kann er nicht aus solchen locker an einander gereiheten einzelnen melodischen Theilen bestehen, die zusammen, so wie es z. B. gemeiniglich in dem so genannten Divertimento geschieht, ein solches Ganzes ausmachen, welches {1416} bloß ein liebliches Gemisch der Töne für unser Ohr, oder ein solches unbestimmtes Tongemälde enthält, woraus sich unsere Einbildungskraft schaffen kann, was ihr unter den lokalen Verhältnissen am beliebtesten ist, sondern ein solcher Theil einer Sonate muß, wenn er einen bestimmten und durchgehaltenen Charakter behaupten soll, aus völlig in einander greifenden und zusammenhängen melodischen Theilen bestehen, die sich auf das fühlbareste aus einander entwickeln, damit die Einheit und der Charakter des Ganzen erhalten, und die Vorstellung, oder vielmehr die Empfindung, nicht auf Abwege geleitet werde.
Jedes ausgeführte Tonstück von bestimmtem Charakter, das ist, jedes Tonstück, welches eine bestimmte Empfindung ausdrücken soll, hat nicht bloß die Absicht, gleichsam nur den Nerven dieser Empfindung zu rühren, sondern der Zweck desselben ist, die auszudrückende Empfindung bis zu einem gewissen Grade der Sättigung oder bis zu einem gewissen Grade der Ausgießung des Herzens darzustellen. Soll dieses geschehen, und soll zugleich das Herz der Zuhörer an dem Ausdrucke dieser Empfindung und ihrer Modifikationen Antheil nehmen, so muß der Stoff und die Form, in welche er gebracht wird, so anziehend seyn, daß beyde ein sich immer mehr erhöhendes Interesse gewähren. Es ist daher bey der Sonate nicht genug, daß der Hauptsatz oder das Thema eines jeden Theils derselben den Ausdruck einer bestimmten Empfindung enthalte, sondern er muß auch, um den Stoff zu Fortdauer dieser Empfindung zu erhalten, mit den damit in Verbindung gebrachten Nebengedanken immer in neuen und interessanten Wendungen und Verbindungen zum Vorscheine kommen, damit der Verfolg des Ganzen die Aufmerksamkeit feßle, und der Ausdruck der Empfindung in {1417} allen ihren Modifikationen für unser Herz Interesse gewinne.
Die Möglichkeit, dieses Interesse und einen bestimmten Charakter in die Sonate, als ein bloßes Instrumentalstück, zu legen, ist schon längst durch C. Ph. E. Bachs Sonaten erwiesen, und in Haydns und Mozarts Werken dieser Art findet man neuere Belege für diese Behauptung. “Der Tonsetzer” (sagt Sulzer)[2] “kann bey einer Sonate die Absicht haben, in Tönen der Traurigkeit, des Jammers, des Schmerzens, oder der Zärtlichkeit, oder des Vergnügens und der Fröhlichkeit ein Monolog auszudrücken; oder ein empfindsames Gespräch in bloß leidenschaftlichen Tönen unter gleichen, oder von einander abstehenden Charakteren zu unterhalten; oder bloß heftige, stürmende, oder contrastirende, oder leicht und sanft fortfließende ergötzende Gemüthsbewegungen zu schildern.”
Die Sonate begreift nach der Anzahl der verschiedenen dabey vorhandenen Stimmen, und nach der verschiedenen Behandlungsart dieser Stimmen, in wie ferne sie sich nemlich als Hauptstimen behaupten, verschiedene Gattungen unter sich, die man mit den Namen Solo, Duett, Trio, Quartett u.s.w. bezeichnet. Von jeder dieser Gattungen wird in einem besondern Artikel gehandelt.
Unter allen Tonstücken für bloße Instrumentalmusik ist die Sonate von den Tonsetzern am fleißigsten bearbeitet worden, es sey nun, daß sie, nach Sulzers Meinung, den ersten Rang unter den Instrumentalstücken wirklich behauptet, oder es sey, daß es deswegen geschehen ist, weil sie wegen der Einfachheit der Besetzung der Stimmen auch zum Privatvergnügen kleiner Zirkel geeignet ist.
[1] Es werden nemlich in der zweystimmigen Sonate, in welcher eine Hauptstimme von einer Grundstimme begleitet wird, das ist, in welcher nur eine Hauptstimme vorhanden ist, nur die Empfindungen einer einzigen Person, in derjenigen zwey-[,] drey- oder vierstimmigen Sonate aber, in welchen zwey, drey oder vier Hauptstimmigen enthalten sind, die Empfindungen eben so vieler einzelnen Personen ausgedrückt.
[2] S. dessen allgem. Theorie der schönen Künste, in dem Artikel Sonate [Doc. #34]