Itzt zerschmelzen wir in Wehmut, und auf einmal sollen wir rasen. Wie? warum? wider wen? wider eben den, fuer den unsere Seele ganz mitleidiges Gefuehl war? oder wider einen andern? Alles das kann die Musik nicht bestimmen; sie laesst uns in Ungewissheit und Verwirrung; wir empfinden, ohne eine richtige Folge unserer Empfindungen wahrzunehmen; wir empfinden wie im Traume; und alle diese unordentliche Empfindungen sind mehr abmattend als ergoetzend.

[Quoting Karl Holz recounting a conversation with Beethoven about the op. 130 quartet:] Als er das B Quartett beendigt hatte, sagte ich, daß ich es doch für das größte von den dreien (op. 127, 130, 132) halte. Er anwortete: “jedes in seiner Art! Die Kunst will es von uns, daß wir,[”] so sprach er häufig scherhaft im Kaiserstyle, [“]nicht stehen bleiben. Sie werden eine neue Art der Stimmführung bemerken[“] (hiermit ist die Instrumentirung, die Vertheilung der Rollen gemeint) [“]und an Fantasie fehlt’s, Gottlob, weniger als je zuvor.’”

Hierauf setzte sie sich ans Piano, auf dem sie Meisterin war, spielte einiges von Mozart, und da sie meinte Vorliebe für den großen Tonkünstler kannte, so erzählte sie mir folgende Anecdote, die, so wie mich, gewiß jeden Verehrer Mozarts ansprechen dürfte, und die ich mit der Dichterin eigenen Worten hier wieder erzähle. “Als ich einst,” sprach sie, “am Flügel saß, und das Non più andrai aus ‘Figaro’ spielte, trat Mozart, der sich gerade bei uns befand, hinter mich, und ich mußte es ihm wohl Recht machen, denn er brummte die Melodie mit und schlug den Tact auf meine Schultern; plötzlich aber rückte er sich einen Stuhl heran, setzte sich, hieß mich im Basse fortspielen und begann so wunderschön aus dem Stegreife zu variiren, daß Alles mit angehaltenem Athem den Tönen des deutschen Orpheus lauschte. Auf einmal aber ward ihm das Ding zuwider, er fuhr auf und begann in seiner närrischen Laune, wie er es öfters machte, über Tisch und Sessel zu springen, wie eine Katze zu miauen, und wie ein ausgelassener Junge Purzelbäume zu schlagen.” So erzählte sie [i.e., Karoline Pichler].

Von dem Quatuor.

§ 118. Das Quatuor, anjezt das Lieblingsstück kleiner musikalischen Gesellschaften, wird von den neuern Tonsetzern sehr fleitzig bearbeitet.

{326} Wenn es wirklich aus vier obligaten Stimmen bestehen soll, von denen keine der andern das Vorrecht der Hauptstimme streitig machen kann, so muß der Hauptstimme streitig machen kann, so muß es nach Art der Fuge behandelt werden.

Weil aber die modernen Quartetten in der galanten Schreibart gesezt werden, so muß man sich an vier solchen Hauptstimmen begnügen, die wechselweise herrschend sind, und von denen bald diese, bald jene den in Tonstücken von galantem Stiele [sic] gewöhnlichen Baß macht.

Während aber sich eine dieser Stimmen mit dem Vortrage der Hauptmelodie beschäftiget, müssen die beyden andern, in zusammen hängenden Melodien, welche den Ausdruck begünstigen, fortgehen, ohne die Hauptmelodie zu verdunkeln. Hieraus siehet man, daß das Quatuor eine der allerschweresten Arten der Tonstücke ist, woran sich nur der völlig ausgebildete, und durch viele Ausarbeitungen erfahrne Tonsetzer wagen darf.

Unter den neuern Tonsetzern haben Haydn, Pleyl [sic] und Hofmeister am mehresten das Publikum mit dieser Gattung der Sonaten bereichert. Auch der sel. Mozard [sic] hat in Wien sechs Quartetten für zwey Violinen, Viole und Violoncell unter einer Zuschrift an Haydn stechen lassen, die unter allen modernen vierstimmigen {327} Sonaten, am mehresten dem Begriffe eines eigentlichen Quatuor entsprechen, und die wegen ihrer eigenthümlichen Vermischung des gebundenen und freyen Stils, und wegen der Behandlung der Harmonie einzig in ihrer Art sind.

Von der Sonate.

§ 108. Die Sonate mit ihren Abarten, dem Duett, Trio und Quatuor hat keinen bestimmten Charakter, sondern die Haupttheile, woraus sie bestehet, nemlich ihr Adagio und beyde Allegro können jeden Charakter, jeden Ausdruck annehmen, den die Tonkunst zu schildern fähig ist. “Der Tonsetzer (sagt Sulzer [Doc. #34]) kann bey einer Sonate die Absicht haben, in Tönen der Traurigkeit, des Jammers, oder Zärtlichkeit, oder des Vergnügens und der Fröhlichkeit ein Monolog auszudrücken; oder ein empfindsames Gespräch in blos leidenschaftlichen Tönen unter gleichen, oder von einander abstechenden Charakteren zu unterhalten; oder blos heftige, stürmende, contrastirende, oder leicht und sanft fortfließende ergözende Gemüthsbewegungen zu schildern.“

Weil bey dem Vortrage der Sonaten die Hauptstimmen nur einfach besetzt werden, so muß {316} sich die Melodie der Sonate gegen die Melodie der Sinfonie eben so verhalten, wie die Melodie der Arie sich gegen die Melodie des Chors verhält, das ist, die Melodie der Sonata, weil sie die Empfindungen einzelner Personen schildert, muß höchst ausgebildet seyn, und gleichsam die feinsten Nuançen der Empfindungen darstellen; da hingegen die Melodie der Sinfonie sich nicht durch solche Feinheiten des Ausdruckes; sondern durch Kraft und Nachdruck auszeichnen muß. Kurz, die Empfindungen müssen anders in der Sonate, und anders in der Sinfonie dargestellet und modificirt werden.

Die Sonaten sind entweder zwey oder mehrstimmig. Die zweystimmige Sonate enthält entweder nur eine Hauptstimme, die von einer begleitenden Grundstimme unterstüzt wird, oder die beyden Stimmen sind so beschaffen, daß sie an der Melodie gleich viel Antheil haben, und mit gleichem Rechte als Hauptstimmen betrachtet werden müssen, und diese Art Sonaten pflegt man insbesondere ein Duet zu nennen. Enthält aber die Sonate nur eine Hauptstimme, die von einer Grundstimme unterstüzt wird, so pflegt man, wenn sie für ein solches Instrument gesezt ist, auf welchem beyde Stimmen zugleich vorgetragen werden können, wie z. B. {293} auf dem Clavier oder der Harmonika, die allgemeine Benennung Sonate beyzubehalten; ist sie aber für Instrumente gesezt, auf welchen nur die Hauptstimme allein vorgetragen werden kann, wie z. B. auf der Flöte, Violine, u. dergl. so ist man gewohnt, sie insbesondere ein Solo zu nennen. Die mehrstimmigen Sonaten erhalten ihren bestimmten Namen von der Anzahl der Stimmen, die sie enthalten; daher nennet man die drey, vier, und mehrstimmige Sonate ein Trio, Quatuor und Quintett.

Sonate. Die allgemeine Benennung solcher zwey-, drey- oder mehrstimmigen Instrumentalstücke, die aus etlichen ausgeführten Theilen von ausgeführten Theilen von verschiedenem Charakter bestehen, und in welchen die Empfindungen eines einzigen Menschen, oder verschiedener einzelnen Personen[1] ausgedrückt werden, daher man auch bey dem Vortrage derselben jede Stimme nur einfach zu besetzen pflegt.

Soll jeder Theil einer Sonate einen sich auszeichnenden Charakter, oder den Ausdruck einer bestimmten Empfindung enthalten, so kann er nicht aus solchen locker an einander gereiheten einzelnen melodischen Theilen bestehen, die zusammen, so wie es z. B. gemeiniglich in dem so genannten Divertimento geschieht, ein solches Ganzes ausmachen, welches {1416} bloß ein liebliches Gemisch der Töne für unser Ohr, oder ein solches unbestimmtes Tongemälde enthält, woraus sich unsere Einbildungskraft schaffen kann, was ihr unter den lokalen Verhältnissen am beliebtesten ist, sondern ein solcher Theil einer Sonate muß, wenn er einen bestimmten und durchgehaltenen Charakter behaupten soll, aus völlig in einander greifenden und zusammenhängen melodischen Theilen bestehen, die sich auf das fühlbareste aus einander entwickeln, damit die Einheit und der Charakter des Ganzen erhalten, und die Vorstellung, oder vielmehr die Empfindung, nicht auf Abwege geleitet werde.

Jedes ausgeführte Tonstück von bestimmtem Charakter, das ist, jedes Tonstück, welches eine bestimmte Empfindung ausdrücken soll, hat nicht bloß die Absicht, gleichsam nur den Nerven dieser Empfindung zu rühren, sondern der Zweck desselben ist, die auszudrückende Empfindung bis zu einem gewissen Grade der Sättigung oder bis zu einem gewissen Grade der Ausgießung des Herzens darzustellen. Soll dieses geschehen, und soll zugleich das Herz der Zuhörer an dem Ausdrucke dieser Empfindung und ihrer Modifikationen Antheil nehmen, so muß der Stoff und die Form, in welche er gebracht wird, so anziehend seyn, daß beyde ein sich immer mehr erhöhendes Interesse gewähren. Es ist daher bey der Sonate nicht genug, daß der Hauptsatz oder das Thema eines jeden Theils derselben den Ausdruck einer bestimmten Empfindung enthalte, sondern er muß auch, um den Stoff zu Fortdauer dieser Empfindung zu erhalten, mit den damit in Verbindung gebrachten Nebengedanken immer in neuen und interessanten Wendungen und Verbindungen zum Vorscheine kommen, damit der Verfolg des Ganzen die Aufmerksamkeit feßle, und der Ausdruck der Empfindung in {1417} allen ihren Modifikationen für unser Herz Interesse gewinne.

Die Möglichkeit, dieses Interesse und einen bestimmten Charakter in die Sonate, als ein bloßes Instrumentalstück, zu legen, ist schon längst durch C. Ph. E. Bachs Sonaten erwiesen, und in Haydns und Mozarts Werken dieser Art findet man neuere Belege für diese Behauptung. “Der Tonsetzer” (sagt Sulzer)[2] “kann bey einer Sonate die Absicht haben, in Tönen der Traurigkeit, des Jammers, des Schmerzens, oder der Zärtlichkeit, oder des Vergnügens und der Fröhlichkeit ein Monolog auszudrücken; oder ein empfindsames Gespräch in bloß leidenschaftlichen Tönen unter gleichen, oder von einander abstehenden Charakteren zu unterhalten; oder bloß heftige, stürmende, oder contrastirende, oder leicht und sanft fortfließende ergötzende Gemüthsbewegungen zu schildern.”

Die Sonate begreift nach der Anzahl der verschiedenen dabey vorhandenen Stimmen, und nach der verschiedenen Behandlungsart dieser Stimmen, in wie ferne sie sich nemlich als Hauptstimen behaupten, verschiedene Gattungen unter sich, die man mit den Namen Solo, Duett, Trio, Quartett u.s.w. bezeichnet. Von jeder dieser Gattungen wird in einem besondern Artikel gehandelt.

Unter allen Tonstücken für bloße Instrumentalmusik ist die Sonate von den Tonsetzern am fleißigsten bearbeitet worden, es sey nun, daß sie, nach Sulzers Meinung, den ersten Rang unter den Instrumentalstücken wirklich behauptet, oder es sey, daß es deswegen geschehen ist, weil sie wegen der Einfachheit der Besetzung der Stimmen auch zum Privatvergnügen kleiner Zirkel geeignet ist.

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[1] Es werden nemlich in der zweystimmigen Sonate, in welcher eine Hauptstimme von einer Grundstimme begleitet wird, das ist, in welcher nur eine Hauptstimme vorhanden ist, nur die Empfindungen einer einzigen Person, in derjenigen zwey-[,] drey- oder vierstimmigen Sonate aber, in welchen zwey, drey oder vier Hauptstimmigen enthalten sind, die Empfindungen eben so vieler einzelnen Personen ausgedrückt.

[2] S. dessen allgem. Theorie der schönen Künste, in dem Artikel Sonate [Doc. #34]

 

Quatuor. Dieses schon seit geraumer Zeit so beliebte Instrumentalstück für vier Instrumente macht eine besondere Gattung der Sonate aus, und bestehet im engern Sinne des Wortes aus vier concertirenden Hauptstimmen, von denen keine der andern das Vorrecht einer Hauptstimme streitig machen kann. Soll jedoch dieses ohne Verwirrung und melodische Ueberhäufungen des Ganzen geschehen können, so muß das Quatuor in diesem strengern Sinne genommen, nach Art der Fuge behandelt, oder durchgehends in der strengen Schreibart gesetzt werden. In dem modernen Quatuor bedient man sich jedoch lieber größtentheils des freyen Styls, und begnügt sich an vier Hauptstimmen, die wechselsweis herrschend sind, und von denen bald diese, bald jene den in Tonstücken von galantem Style gewöhnlichen {1210} Baß macht. Indem sich aber eine dieser Stimme mit dem Vortrage der Hauptmelodie beschäftiget, müssen die beyden andern, in zusammenhängender Melodie, welche den Ausdruck begünstigt, fortgehen, ohne die Hauptmelodie zu verdunkeln. Hieraus siehet man schon von selbst, daß die Bearbeitung dieses Tonstückes einen Tonsetzer erfordert, dem es weder an Genie, noch an den ausgebreitetsten Kenntnissen der Harmonie, mangelt.

Das Quatuor ist übrigens (wenn man nemlich die zwey- und dreystimmigen Sonaten für Claviatur-Instrumente ausnimmt) diejenige Gattung der Sonate, die seit ohngefähr vierzig Jahren am allerfleißigsten bearbeitet worden ist, wozu ohne Zweifel Haydns Meisterwerke dieser Gattung das mehreste beygetragen haben. Unter allen bis jetzt bekannten Tonstücken dieser Art entsprechen (noch außer ihren ästhetischen Schönheiten,) die vierstimmigen Sonaten von Mozart am mehresten dem Begriffe eines Tonstückes von vier obligaten Hauptstimmen.

Oft pflegt man das Quatuor, so wie das Tonstück für vier concertirende Singstimmen, auch Quartett zu nennen.

Kammermusik, ist in dem eigentlichen Sinne des Wortes eine solche Musik, die nur an Höfen gebräuchlich ist, und bey welcher man, weil sie bloß zur Privatunterhaltung des Regenten veranstaltet wird, niemanden ohne besondere Erlaubniß den Zutritt als Zuhörer verstattet. An verschiedenen Höfen pflegt man {821} aber auch mit diesem Ausdrucke noch die so genannten Hof-Concerte zu bezeichnen, die zwar eigentlich nur für den Hof, und was sich an denselben anschließt, bestimmt sind, woran aber auch andere Personen, jedoch in dem Concert-Saale von dem Hofe isolirt, als Zuhörer Antheil nehmen können.

Weil bey der Kammermusik die Absicht der Kunst niemals besonders dahin gerichtet war, religiöse Empfindungen wie in der Kirche, oder moralische Empfindungen wie in der Oper auszudrücken, sondern nur zum Privatvergnügen des Regenten oder des Hofes zu dienen, und weil sie überdies nur in einem Zimmer und mit schwacher Besetzung der Instrumente aufgeführt wurde, so veranlaßten alle diese Umstände, daß die ältern Tonsetzer die Kunstprodukte für die Kammer mehr ausarbeiten, feiner nuancirten und mehr mechanische Fertigkeit der Ausführer dabey voraussetzten, als sie es bey Tonstücken für die Kirche, oder für das Theater, theils wegen der Größe der Gebäude, theils auch wegen der stärkern Besetzung der Stimmen, u. s. w. für schicklich hielten. Sie ahmten dabey gleichsam dem Maler nach, der ein Gemälde, welches bestimmt ist, dem Auge nahe zu seyn, weit feiner schattirt und ausmalt, als z. B. ein Deckengemälde, welches weit von dem Ange entfernt ist, und bey welchem nicht allein diese Feinheiten verloren gehen, sondern sogar die Wirkung des Ganzen schwächen würden. Auf eine ähnliche Art behandelten die Tonsetzer die für die Kammermusik bestimmten Produkte der Tonkunst, und daher bekamen diese Arten der Tonstücke ein eigenes Gepräge, welches man noch bis jetzt mit dem Ausdrucke Kammerstyl bezeichnet. Die mehresten neuern Tonsetzer haben nicht für gut gefunden, diese Maxime ihrer Vorgänger beyzubehalten, sondern sie bedienen sich in der Oper eben so starker Ausarbeitungen der Stimmen, und eben solcher Schwierigkeiten für die Instrumente, wie in den Tonstücken für die Kammer; daher ist es heut zu Tage auch eine schwere Aufgabe, zwischen dem Theater- und Kammerstyle {822} eine Grenzlinie zu ziehen, oder von beyden einen bestimmten Unterscheidungs-Charakter anzugeben.

 

Hauptstimme. Man braucht dieses Wort bald in einem engern, bald aber auch in einem weitläuftigern Verstande. Im weitern Sinne des Wortes verstehet man darunter jede Stimme, die durch das ganze Tonstück hindurch mit ihrer eigenen, und von den übrigen Stimmen verschiedenen Melodie in die Harmonie des Ganzen einstimmt. So viel also ein Tonstück Stimmen enthält, deren jede ihre eigene und besondere Melodie hat, eben so viel Hauptstimmen sind in demselben vorhanden. Heut zu Tage setzt man auch bei vollstimmiger Musik ohne besondere Veranlassung selten mehr als vier Hauptstimmen, weil in diesen schon alle Intervallen der gewöhnlichsten Akkorde enthalten seyn können, die bey der Harmonie zum Grunde liegen. In dem vierstimmigen Vocalsatze müssen alle vier Stimmen, nemlich Discant, Alt, Tenor und Baß als Hauptstimmen behandelt werden, das heißt, jede derselben muß ihre eigene Melodie haben, die von den Melodien der übrigen Stimmen verschieden ist. Bey der vollstimmigen Instrumentalmusik versieht die erste Violine die Stelle des Discantes, die zweyte Violine die Stelle des Altes, und die Viole die Stelle des Tenors. Bey diesen Compositionen behalten aber die zweyte Violine und Viole dennoch auch in solchen Tonstücken den Namen einer Hauptstimme, in welchen jene zuweilen mit der ersten Violine, diese aber mit dem Basse im Einklange oder in der Oktave fortgehet.

Von den Hauptstimmen unterscheidet man die Neben- oder Füllstimmen, welche entweder nur durch Verdoppelung der schon in den Hauptstimmen vorhandenen Töne die Harmonie ausfüllen, oder vermittelst {748} welcher diese oder jene Hauptstimme im Einklange oder in der Oktave verstärkt wird. Von dieser Beschaffenheit sind z.B. in den Sinfonien die Hörner, Oboen, Trompeten u. dergl. die den Namen der Füllstimmen auch alsdenn noch behalten, wenn sie sich gleich zuweilen mit einem kleinen Solo hören lassen.

Man pflegt die Hauptstimmen eines Tonstücks einzutheilen in die äußersten, und in die Mittelstimmen. Unter den äußersten Stimmen verstehet man den Baß, den man auch die Grundstimme nennet, und die vorhandene höchste Stimme, die auch die Oberstimme genannt wird; die übrigen heißen deswegen Mittelstimmen, weil die Höhe und Tiefe der Töne ihrer Melodie von den Tönen der Oberstimme und des Basses begrenzt werden.

Im engern Sinne des Wortes verstehet man unter einer Hauptstimme eine solche, durch welche die Empfindung besonders ausgedrückt wird, die bey einem Tonstücke zum Grunde liegt, und welcher die übrigen vorhandenen Stimmen bloß zur Begleitung und Unterstützung dienen. In dieser Bedeutung behauptet zum Beyspiel in einer Arie bloß die Singstimme, oder in einem Concerte, bloß die concertirende Stimme den Charakter der Hauptstimme. Bey solchen Tonstücken sind, so lange der Vortrag der Hauptstimme dauert, alle übrige Stimmen bloß begleitende Stimmen, das ist, sie sind nur deswegen vorhanden, um der Hauptstimme theils durch die Harmonie, theils auch durch ihre metrische Bewegungen mehr Deutlichkeit und Bestimmtheit zu geben. In Tonstücken, in welchen nur eine solche Hauptstimme vorhanden ist, kann der Tonsetzer die vorhandene Empfindung nur so ausdrücken, wie sie sich bey einem Menschen nach seiner besondern oder individuellen Art äußert. Die Tonkunst besitzt aber auch das Vermögen, die individuellen Empfindungsarten mehrerer Menschen, die sich zugleich äußern, auszudrücken. Soll {749} dieses geschehen können, so müssen mehr Stimmen vorhanden seyn, die den Charakter als Hauptstimmen behaupten, oder die sich durch ihre hervorstechenden Darstellungen der verschiedenen Modifikationen der Empfindung auszeichnen.

Von dem Daseyn einer oder mehrerer Hauptstimmen hängt diejenige Verschiedenheit einer Composition ab, welche von einigen Tonlehrern durch die Ausdrücke homophonische und polyphonische Schreibart unterschieden wird. Homophonisch wird das Tonstück genannt, in welchem nur vermittelst einer Hauptstimme die individuelle Empfindungsart eines einzigen Menschen ausgedrückt wird, und bey welchem alle übrige Stimmen bloß das Amt der begleitenden Stimmen verrichten, wie in der Arie oder im Concerte. Polyphonisch hingegen ist die Composition, wenn der Tonsetzer die Empfindung verschiedener Menschen durch mehrere Hauptstimmen ausdrückt, wie z. E. in der Oper, im Duette, Terzette oder Quatro, u. dergl.

Die Verfertigung eines Tonstückes in der polyphonischen Schreibart, wenn es nebst seiner Mannigfaltigkeit auch die nöthige Einheit haben soll, setzt einen Tonsetzer voraus, der in der Kunst der Nachahmungen und des doppelten Contrapunktes kein Fremdling ist. Siehe den Artikel Contrapunkt.